An der Neugersdorfer Hütte 1957
Am 14. August 2007 sollen die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Neugersdorfer Hütte am Krimmler Tauern stattfinden. Leider ist die Hütte, obwohl seit Jahren schon nicht mehr benützt, noch immer vom italienischen Zoll beschlagnahmt. Sie sollte schon längst dem Alpenverein Südtirol zurückgegeben werden. Zurückblickend fällt mir ein Erlebnis ein, das ich am 13. August 1957 bei unserer Wanderung über den Krimmler Tauern hatte, damals nicht wissend, dass wir, drei junge Studenten, gerade rechtzeitig zum 50. Jubiläum an der Hütte vorbeikamen.
13. August 1957
Vom Krimmler Tauernhaus durchs Windbachtal kommend waren wir kurz vor Mittag über den Krimmler Tauern gewandert und wollten, die Neugersdorfer Hütte links liegen lassend, zur Trinksteinhütte absteigen, um dann zur bewirtschafteten Lenkjöchlhütte aufzusteigen. Kaum waren wir unterhalb der Neugersdorfer Hütte, da kamen von dort Pfiffe einer Trillerpfeife, und laut gestikulierend stürmten drei Alpini, oder waren es Zöllner, zu uns hinab. Wir zeigten zwar unsere Reisepässe, aber die Herren bedeuteten uns mit gekreuzten Händen „passporto nix gut, krrr via Brennero“. Deutsch konnten sie nicht, da an der Grenze entlang nur Süditaliener stationiert waren, damit sich nur ja keine Verbrüderung anbahnt. Wir dachten nun, das Schicksal würde uns jetzt genau so treffen, wie wir es schon von anderen gehört hatten, nämlich: nach Bruneck abgeführt, dort zwei Tage eingesperrt, und dann über den Brenner abgeschoben zu werden. Zunächst wurden wir aber zur Hütte hinaufgeführt. Man ließ sich Zeit, denn es war gerade Mittag, und das Mittagessen ist den Italienern heilig. Drei hungrige Studenten schauten dem Speisen zu, offensichtlich mit so hungrigen Augen, dass wir schließlich eingeladen wurden mitzuhalten. An der ganzen Wand entlang standen Chiantiflaschen, und so gab es auch für uns einen guten Schluck, wenn auch nicht von einem Südtiroler Wein. Der wohl frühere Gastraum machte einen sehr ungepflegten Eindruck, die Vertäfelungen waren schon herausgerissen. Nach dem Essen wurden die Herren zugänglicher, vielleicht auch, weil wir uns einige Brocken Italienisch zurechtgelegt hatten. Wir durften den Lausitzer Weg Richtung Birnlücke gehen, aber nur ja nicht ins Ahrntal absteigen. Mit einem großen Scherenfernrohr beobachtete man uns auf dem ganzen Weg. Wir sahen bald rechter Hand die Ruinen der früheren Birnlückenhütte und waren froh, als wir an der Birnlücke wieder ins Salzburgische absteigen konnten.
Freund Bobby
Freund Bobby konnte es sich hier aber nicht verkneifen, auf den letzten italienischen marmornen Grenzstein einen wenn auch etwas unappetitlichen braunen Kringel zu scheißen. So etwas sollte man nicht tun, und so entlud sich bald über uns ein kräftiges Gewitter, und wir kamen am frühen Abend gewaschen wieder im uralten ehrwürdigen Krimmler Tauernhaus an.
Die Zeiten haben sich zum Glück von Jahr zu Jahr gebessert. Im Jahre 1981 konnte ich schon mit meinen Töchtern Annette und Barbara eine herrliche Durchquerung der östlichen Zillertaler Alpen unternehmen: Gerlospass – Zittauerhütte – Richterhütte – Neugersdorfer Hütte ( diesmal standen dort nur freundliche Zöllner ) – Lausitzer Weg – Birnlückenhütte – Warnsdorfer Hütte – Krimml. Und nach Südtirol zieht es mich jedes Jahr, um von Rein aus Touren zu unternehmen. Hoffentlich erlebe ich es noch, dass die Neugersdorfer Hütte eine gastliche Hütte des Alpenvereins Südtirol wird. Die Zeit drängt, ich bin nun über siebzig, aber ich freue mich schon auf eine Nacht auf der Neugersdorfer Hütte, auf den Blick hinüber zur Rötspitze und zur Dreiherrnspitze.
Karl-Friedrich Kürten